DNN schreibt: „Fleischer ist mehr als Blut- und Leberwurst“

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Dienstag, 17. März 2020

„Fleischer ist mehr als Blut- und Leberwurst“

Erst wird mit Knochenbrühe angestoßen, dann kommen Knochensäge und sehr scharfe Messer zum Einsatz: Ein Zerlegeseminar beim Dresdner Fleischereifachgeschäft Feinkost Müller ist ein Besuch im Mekka für Fleischfreunde. Beim fachkundigen Zerteilen einer Rinderhälfte geht es rasch ums große Ganze.
von Uwe Hofmann

Nach drei Stunden kommt der Moment, auf den alle gewartet haben. „Das ist das beste Stück vom Rind“, sagt Christoph Grabowski und legt einen vergleichsweise kleinen Fetzen Fleisch auf das Tablett, das ihm Jürgen Müller unter die Nase hält. „Paleta“ nennt Grabowski das rote, von feinen Fettäderchen durchzogene Fleischstück und schwärmt von dessen Zartheit, seinem Geschmack. Und während die umstehenden noch wissend nicken, demonstriert Fleischermeister Jürgen Müller, warum Paleta auch „des Fleischers Geheimnis“ genannt wird: Ohne größere Umschweife trägt er das Tablett ins Kühlhaus – sein Reich und das seines Schwiegersohns Stefan Müller. Was mit dem Paleta-Stück passiert, ist offenbar Familiensache. Christoph Grabowski wendet sich mit seinem scharfen Messer wieder dem vor ihm liegenden Rinderviertel zu, schneidet, reißt an Bindegewebe, zeigt „Brisket“, „Denver Cut“, „Sierra Cut“. Alles Begriffe, die unter Steak- und Grillfreunden Konjunktur haben und einen veränderten Umgang mit dem Lebensmittel Rindfleisch anzeigen. „Lebensmittel bedeutet mehr, als nur satt zu sein“, sagt Christoph Grabwoski. Der diplomierte Fleischsommelier predigt einen „respektvollen Umgang mit Lebensmitteln“ – und gleichzeitig einen ganz neuen Fleischgenuss. Der hoch gekachelte Raum bei Feinkost Müller auf dem Weißen Hirsch ist genau die Bühne, auf der diese Botschaft gut ankommt. Eineinhalb Dutzend Gäste haben sich versammelt, um den Worten des „Fleischflüsterers“ aus Castrop- Rauxel zu lauschen. Zur Begrüßung reicht Hausherr Jürgen Müller seine neuste Kreation, warme Knochenbrühe, in Schnapsgläsern aus. Die meisten der Anwesenden kennt er schon – sie haben an einem der Steakseminare teilgenommen, die seit zwei Jahren bei Feinkost Müller der Renner sind. Dabei werden vor allem US-amerikanische „Cuts“, also Rindfleischstücke, vorgestellt und ihre Zubereitung erläutert. Jetzt wollen die Teilnehmer sehen, aus welchem Teil des Tieres die ihrem Gaumen schon bestens bekannten Häppchen stammen. In fünf Stunden zerlegen deshalb Stefan Müller und Christoph Grabowski mit sehr scharfen Messer, Knochensäge und Muskelschmalz eine halbe Färse – eine etwa zweieinhalb Jahre alte Kuh, die noch nicht gekalbt hat. Ihr Fleisch ist stärker von Fettadern durchzogen als das von Jungbullen und gilt daher als schmackhafter. Bei Feinkost Müller wird deshalb fast nur Färsenfleisch verarbeitet, „auch wenn das weniger ökonomisch ist“, wie Jürgen Müller sagt.

„Zerlegeseminar“ heißt der Termin ganz geerdet, aber es geht Ruhrpottschnauze Grabowski dabei auch ums große Ganze. Was darf gutes Fleisch kosten? Wie sollte gute Tierhaltung aussehen? Und muss es immer Fleisch sein? „Ich bin für jeden Veganer dankbar, weil er uns zum Nachdenken über diese Dinge anregt“, sagt der Fleischermeister. Für ihn ist klar: Beim Essen geht es um Genuss und Qualität, nicht um Masse und billige Preise wie es das Marketing der vier marktbestimmenden Discounter propagiere. Genau die richtige Philosophie für Hausherr Jürgen Müller. Er und Stefan Müller haben sich schon vor Jahren für das neue Grillen interessiert, noch bevor die Welle mit Gasgrill, langsamen Garen und dem Griff zu preisintensiveren, aber ohne Hilfen aus der Lebensmittelchemie schmackhaftem Fleisch und Zutaten nach Deutschland schwappte. „Wir haben immer schon gern experimentiert“, sagt Jürgen Müller. Nicht umsonst stehen in dem vor 80 Jahren gegründeten Familienbetrieb 80 Bratwürste zur Auswahl, wird dort japanisches Wagyu-Rind genauso selbstverständlich gehandelt wie einheimische Spezialitäten. „Fleischer ist mehr als nur Blut- und Leberwurst“, sagt Jürgen Müller. Deshalb war er auch gleich Feuer und Flamme, als er von der US-amerikanischen Fleischzerlegung hörte. Die unterscheidet sich maßgeblich von der Deutschen Schnittführung wie sie 1954 verbindlich kodifiziert wurde. Vor allem weil auch kleinere Stücke herauskommen und manches als Steak eine Verwendung findet, was nach herkömmlicher deutscher Denkweise eher Gulasch oder Braten sein sollte. „Mein Schwiegersohn und ich haben uns vor allem mit Internetvideos weiter gebildet“, sagt Jürgen Müller. Und vor zwei Jahren bei Christoph Grabowski zu Fleischsommeliers schulen lassen. Bei dem Kurs in Augsburg fielen die beiden Dresdner vor allem damit auf, schon ziemlich gut Bescheid zu wissen in der neuen Grillwelt – so entstand der Kontakt, der den „Fleischflüsterer“ auf den Weißen Hirsch brachte. Der kennt sein Publikum genau. Neben meist männlichen Fleischfreunden – es sind nur zwei Frauen unter den Gästen – sind mit Sven Creutz aus der Dresdner Neustadt und Adrian Loose aus Dippoldiswalde auch zwei Fleischerkollegen darunter. „Es hat vor etwa 20 Jahren über 110 Betriebe in Dresden gegeben, jetzt sind es 24“, sagt Jürgen Müller. Konkurrenzgerangel habe da keinen Sinn. „Wir unterstützen uns, weil wir das gleiche wollen“, sagt er. Ein Fleischer sei heutzutage Genussberater, meint Christoph Grabowski dazu. Er müsse seinem Kunden jederzeit erklären können, wo das Fleisch herstamme, was dessen Eigenschaften seien und wie man es zubereite. Transparenz und Sichtbarkeit seien von enormer Wichtigkeit für das Gewerbe. „Mein Ziel ist es, dass im deutschen Fernsehen mal genauso viele Metzger zu sehen sind wie Köche“, sagt der Fleischsommelier.

Bei Feinkost Müller hat man sich dorthin auf den Weg gemacht. So ist zum Laden am Rissweg 62 und dem seit Jahren glänzend laufenden Cateringgeschäft nun eine Veranstaltungsreihe dazugekommen. 30 Seminare habe man bisher abgehalten, alle ausgebucht. Die Termine für dieses Jahr waren schon im letzten nicht mehr zu haben, für weitere Seminare mit Youtube-Griller Jörn Rochow und zum eierförmigen Grill „Big green Egg“ gibt es ebenfalls keine Plätze mehr. „Wir haben uns deshalb entschlossen, zwei weitere Termine für das Grillgenuss-Seminar anzubieten“, sagt Kristin Müller, die neben vielen anderen Aufgaben auch die Organisation dieser Termine übernimmt. Ganz offenbar hat der Familienbetrieb mit 17 Angestellten mit der Reihe einen Nerv getroffen. In den Räumen am Rissweg 62 erklärt Christoph Grabowski derweil, warum ein ordentliches Steak ohne fremde Fette auskommt. „Nehmen sie das Fett des Rindes zum Braten, dann bekommt das Fleisch auch
keinen fremden Geschmack“, sagt er. Und auch das Bindegewebe sei nicht zu verachten. „Das ist reines Mondamin – es gibt nichts besseres, um eine Soße abzubinden“, sagt er. Alle Teile des Rindes seien zu verarbeiten – und zwar so, dass sie schmecken. Auch das wird bei Feinkost Müller bereits gelebt. Jürgen Müller verweist auf die Knochenbrühe. „Die kochen wir aus den unansehnlichen Weißknochen, die bisher als unverkäuflich galten“, sagt er.

Neue Termine für Grillgenuss-Seminare
bei Feinkost-Müller: 5. Juni und
25. September, je von 18 bis 22 Uhr.
Telefonische Reservierung unter
0351/ 268 30 48, 135 Euro pro Person.

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