Handwerk heißt Lebensqualität

Innungsobermeister Jürgen Müller setzt auf Exklusivität statt „Geiz ist geil“

VON THOMAS BAUMANN-HARTWIG
Eine Bratwurst, die Zitronengras, Ingwer, Chili und Kokosmilch enthält? Oder Tomate, Mozarella und Pesto? „Wir sind eine sehr kreative Fleischerei“, sagt Jürgen Müller mit einem breiten Lächeln. 55 verschiedene Bratwurstsorten kann er anbieten, allerdings nicht alle zur gleichen Zeit: „Da orientiere ich mich an den Kunden. Sie rufen am Mittwoch an und bestellen ihre Lieblingssorten für das Grillen am Wochenende vor.“ Thailändisch, italienisch oder auch japanisch, Bratwurst kann so verschieden sein. Im Sommer stehen immer 15 Sorten gleichzeitig zur Auswahl.

„Wir haben in Deutschland das Riesenglück, dass wir noch Bäcker und Fleischer haben“, meint Müller, Obermeister der Fleischerinnung Dresden. Kurz nach der Wende habe es noch 111 Fleischereien in Dresden gegeben. Jetzt seien es nur noch 27 Innungsbetriebe. Viele Fleischer hätten ihre Geschäfte aus Altersgründen aufgegeben, andere seien in Konkurs gegangen. Die „Geiz-ist-geil“-Mentalität, die Einstellung: „Hauptsache satt, egal was drin ist“, habe eine Aktie am Rückgang der Fachgeschäfte.

„Es sind großartige Betriebe von der Bildfläche verschwunden“, bedauert der Obermeister, „dabei gehört es doch zur Lebensqualität dazu, handwerklich hergestellte Lebensmittel verzehren zu können.“ Müller brennt für seinen Beruf und hat einen Weg gefunden, sein Geschäft in einer „gottverlassenen Ecke“, wie er selbst sagt, am Rißweg auf dem Weißen Hirsch, ohne Kundenparkplatz vor der Tür, am Markt zu halten. „Exklusivität“, heißt sein Erfolgsrezept.

Exklusiv sein heißt, Produkte anzubieten, die nicht jeder hat. Zum Beispiel einen chinesischen Knacker mit Nelken, Anis und Szechuan-Pfeffer. Müller ist gerade dabei, diesen Knacker zu kreieren, aber noch nicht ganz zufrieden mit der Schärfe. „Da muss ich noch dran arbeiten“, meint er. Ab 14. November reist der Obermeister als Mitglied einer sächsischen Delegation mit Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) und Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) nach China, bis dahin muss die Neukreation scharf genug sein.

„Es ist unheimlich spannend, neue Sachen auszuprobieren“, findet Müller, der den Betrieb 1980 übernehmen musste, weil sein Vater gestorben war. Mittlerweile hat er das Geschäft an seine Tochter Kristin übergeben, die Zukunft ist gesichert. Der 61-Jährige steht aber mindestens jeden Sonnabend selbst im Laden und sucht den Kontakt mit den Kunden, die aus ganz Dresden und sogar ganz Deutschland zu ihm kommen. Mit großen Kühltaschen, die mit Fleischsorten gefüllt werden, die äußerst klangvolle Namen tragen und teilweise aus exotischen Ländern kommen.

Fleisch aus Botswana, Uruguay, Argentinien, Australien, den USA und Irland, natürlich auch Txogitxu, das berühmteste Fleisch der Welt, ganz zartes Rind aus Spanien – alles zu haben in dem Geschäft am Weißen Hirsch. Damit die Kunden das edle Fleisch auf fachgerecht zubereiten können, gibt Müller Seminare, auf denen er in die Kunst des Grillens einführt. Kohlen anzünden und Fleisch aufs Rost? Nicht bei Müller! „Die Zubereitung von Lebensmitteln ist eine Kunst“, sagt er. Die Seminare waren und sind in diesem Jahr restlos ausgebucht.

Der Obermeister zeigt eine Mappe mit japanischen Schriftzeichen – er hat sich auf asiatische Kundschaft eingestellt und die Wörter gelernt, die es ihm ermöglichen, einem Kunden aus dem Land der aufgehenden Sonne Fleisch und Wurst zu offerieren. Natürlich führt das Geschäft japanische Produkte – die Japaner in Dresden danken es Müller, indem sie den Fleischer in ihrem Newsletter als Geheimtipp erwähnen. „Jetzt haben uns die Koreaner entdeckt“, sagt Müller. Gibt es speziell koreanische Fleisch- und Wurstprodukte? „Ich suche danach.“

So innovativ der 14-Mitarbeiter-Betrieb auch ist, eines wird Müller nicht anbieten: vegane Wurst. „Auf diesen Zug springe ich nicht auf. Das geht mir gegen meine Fleischerehre.“ Es seien einfach zu viele Zusatzstoffe für die Stabilität der Produkte erforderlich. „Wer will, kann sich doch Gemüse auf den Grill legen“, findet der Obermeister.